Literarische Experimente

Das Spiel ist einfach: Man nehme ein A4-Blatt, verteile zehn zufällige Wörter gleichmäßig darauf und ergänze das Ganze zu einer Kurzgeschichte, die genau diese Seite ausfüllt und in organischer Weise diese Wörter enthält, ohne Wörter durchzustreichen oder zu verwerfen. Das geht überraschend gut, und die Geschichten kommen leichter zur Sache, als wenn ich sie frei geschrieben hätte. Hier als Beispiel drei Ergebnisse aus der langweiligen Zeit zwischen Vorlesung, Mensa und Vorlesung (die Vorgaben HERVORGEHOBEN):

SENIORENPREIS

"Was hast du heute vor?" fragte Haralds Mutter am Frühstückstisch. Harald ditschte ein paar Krümel auf, strich sich über den Bauch und sagte "Ich geh zum Obi, einen BIERTISCH kaufen." "Daß du dich aber nicht mit Weibern einläßt," mahnte Mamma und räumte das Geschirr zusammen. "Mutter, ich bin einunddreißig. Ich habe mein eigenes Leben." "Du -- ein eigenes Leben? Du kannnst ja noch nicht mal selber die Schuhe anziehen. Das ist LACHHAFT!" Harald sagte nichts mehr und ging aus der Tür. Er setzte sich in sein Auto, fuhr los in Richtung Gewerbegebiet und überlegte. Er würde sich eine Freundin anlachen. Ja genau, das würde er tun. Und er würde allen davon erzählen. Mutter würde es wohl wie einen unerhörten SKANDAL auffassen, aber das geschah ihr ganz recht. Er parkte, nahm ein Wägelchen und ging hinein. Ganz hinten in der Ecke fand er nicht nur Biertische, sondern auch eine junge jobbende Schülerin. "Ich bin 31. Bekomme ich da 'nen SENIORENPREIS?" fragte er sie. Sie lächelte zurück. Plötzlich löste sich im Regal über ihr eine Ladung Bretter. "DUCKEN Sie sich!" rief Harald und zog sie an sich, so daß sie nur um Millimeter verfehlt wurde. "Vielen Dank, das hätte mich fast erwischt... diese Bretter" stammelte sie aufgelöst. Harald hielt sie eine Weile und strich ihr über den Rücken. Er erinnerte sich an den Bio-Unterricht. Ihr Rückgrat war LEICHT S-FÖRMIG. Ihm schien es, als wären sie ewig so dagestanden, doch irgendwann löste sie sich aus der Umklammerung. "Jedenfalls Danke", murmelte sie und sah ihn unverwandt, wenn auch nicht unfreundlich an. Harald fühlte sich an eine KOBRA kurz vor dem Zubeißen erinnert. Er mochte das. Er beschloß, am nächsten Tag wiederzukommen, vielleicht um einen WISCHMOP zu kaufen, und schwebte davon. Hinter ihr trat ein orangegekleideter Regaleinräumer auf die Gerettete zu, flüsterte "in zehn Minuten ist unsere Schicht vorbei. Ich hab daheim sturmfreie Bude" und küsste seine KEULE.

VORHANDEN

"VORHANDEN oder nicht vorhanden -- dieser Unterschied ist nur in unserer Vorstellung vorhanden," dozierte der Graf, als ihm Mortimer eine nach allen Regeln der Kunst gebraute Kanne Fünfuhrtee brachte. Betont GLEICHGÜLTIG erwiderte dieser: "Wie M'lord meinen." "Ganz sicher meine ich das! Vorhandensein ist mitnichten GENETISCH festgelegt! Was man sieht, das gibt es!" fuhr der Graf fort, "und was man sich vorstellt, sieht man. Ich werde es Ihenn zeigen. In einer Stunde sieht es in diesem Salon anders aus. Richten Sie schon mal das Dinner." Mit einer Verbeugung verließ der betont desinteressiert blickende Butler die helle Ecke und verschwand in der TIEFE des halbdunklen Salons. Und als er mit einer erlesenen Auswahl verschiedener Käse AUF BROT zurückkam, war er für einen Augenblick entsetzt. Vor ihm tat sich ein Dschungel auf. Wo noch vor einer Stunde das Bücherregal seinen Platz einnahm und die Ahnenbilder staubig lächelten, standen jetzt lianenbehangene Baumriesen in feuchtwarmer Luft. Affen quietschten und Vögel kreischten, als Mortimer auf den noch völlig unveränderten OHRENSESSEL seines Herrn zuging. "Mylord haben mich beeindruckt," stellte er fest. "Das ist noch gar nichts!" frohlockte der wahnsinnig grinsende Graf und zog einen gewöhnlichen ZUCKERHUT aus der Tasche. "Sehen Sie? Bröseliger Zucker. Aber wenn ich will, wird daraus," und er schnippte, "sofort ein BISCHOF". Das stellte auch ein hochrangiger Geistlicher fest, der sich plötzlich in einem verdschungelten Salon wiederfand. Ein Schnippen, und er war wieder weg. "Oder das, das gefällt mir besonders!" kicherte der Graf, schnipp, umringt von leichtbekleideten Schönheiten. "Nicht da, da bin ich KITZLIG!" wies er ihre versuchte Massage zurück. "Mortimer, richten Sie das Wasserbett für mich und meine Gäste." befahl er mit einem eindeutigen Augenzwinkern. Es war die heißeste Nacht seines bis dahin langweiligen Lebens, und die einzige mit Livemusik. Glücklich schlief er umringt von zärtlichen Gespielinnen ein. Zu seinem Erstaunen (es war das letzte, was er tat) träumte er von einem Meer aus TINTE.

KLARHEIT

REGENWASSER rann an den Scheiben der kleinen Dachwohnung herab. Yvonne saß im Licht der Schreibtischlampe an einem Brief. Sie wünschte nichts sehnlicher, als ihren Freund Ingo, oder Ingo-Star, wie sie ihn nannte, wiederzusehen. Leider war er für ein Jahr im Ausland. Wenn er nur in der Nähe, etwa in PADUA (1000 km) gewesen wäre. Aber es mußte ja Capetown sein. Ganz ideal war ihre Beziehung nicht gewesen vor drei Monaten, als er ihr am Flughafen ein letztes Mal zuwinkte. Sie hatte ihn mit Moni erwischt, zwar nicht bei etwas Unanständigem, aber sie hatte doch Zweifel. Sie wollte endlich KLARHEIT darüber, was war. Sie rief Moni an. Moni war zum Glück noch wach. "Moni, tut mir leid wegen der Uhrzeit, aber ich muß mit dir reden. Ich hab so ein UNGUTES GEFÜHL wegen dir und Ingo. Was war da -- und bitte sei ehrlich." Moni sagte nichts. Sie schluckte. Schließlich platzte es aus ihr heraus. "Ingo ist zu mir gekommen, weil er es mit dir nicht mehr aushielt. Er konnte dich nicht mehr sehen, wenn du NACKT vor ihm lagst. Er ekelte sich vor deinem Geruch, vor deinen Haaren, vor deinem BREIIGen Gesicht. Er wollte schon lange mit dir Schluß machen, konnte es aber einfach nicht." Yvonne legte wortlos auf und sah an sich herab. Gut in Form war sie wirklich nicht. Aber er -- schluchz -- hätte doch was sagen können, dieser Depp. Arsch. Hartgeldstricher. Jetzt saß er im sonnigen Capetown, eine LAUFBAHN im diplomatischen Dienst im Visier, und freute sich mit ein, nein viel besser zwei, schwarzen Flittchen seines Lebens. Na, der sollte was erleben. Sie öffnete den Schrank, wo sie all die Liebesbriefe der letzten zwei Jahre in einem schwarzen AKTENKOFFER aufbewahrte. Ein großer Haufen im Waschbecken -- Ha! Jetzt nur noch ein Streichholz... Ihre Hände zitterten. Sie versuchte es noch einmal. Ihre Finger gehorchten ihr nicht. Erinnerungen an Ingo kamen. Sie konnte ihn nicht einfach so loslassen. Unter Tränen murmelte sie "VERFLUCHT!"

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